Geschichten rund um die Lüneburg
Klaus Leitis berichtet
Klaus Leitis war 1968/69 als 11er auf der "Lüneburg". Sein Wohnsitz ist ebenfalls in Lüneburg. Und aus eigener Erfahrung kann der Webmaster versichern, dass Klaus auch über eine ausgezeichnete Kellerbar verfügt mit jeder Menge maritimer Andenken an die Zeit auf der Lüneburg.
Aus seiner Erinnerung berichtet er von einer kuriosen Bekanntschaft mit einer Tonne. Hier seine Geschichte:
Bevor mir diese Story ganz in Vergessenheit gerät möchte ich auch noch einen kleinen Beitrag zu der Rubrik Geschichten vom TS. Lüneburg zu fügen. Eventuell erinnern sich noch die Kameraden daran, die mit mir seinerzeit auf der Lüneburg waren. Es muss sich in der Zeit vom 09.06. bis 14.06.1968 ereignet haben.
Auf welchem Fahrkurs es sich ergab weiß ich nicht mehr, jedenfalls war es Sommerzeit, hell und warm. Ich verrichtete seemännische Arbeiten auf der Schanz, als die Lüneburg stoppte und plötzlich der Oberleutnant Jensen mit einem G 3 erschien und es durchlud. Auf meine Frage hin was er dann beabsichtige, wies er mich an ihn an seinen Beinen festzuhalten und robbte zur Steuerbordankerklüse hin. Er hing weit außenbords und ich hielt ihn krampfhaft an den Beinen fest. Er fing an zu feuern, bis die 20 Schuss verschossen waren. Ich zog ihn zurück an Oberdeck und wir beide schauten am Bug herunter was sich dort tat. Zu meinem Erstaunen erblickte ich eine große Festmacher-Tonne die sich wohl irgendwo im Sturm von deren Verankerung losgerissen hatte und nun ein Hindernis für die Schifffahrt war. Die Größe betraf so das 1,5 fache eines VW-Busses. Obwohl teilweise von den Projektilen perforiert, polterte die Tonne an der Bordwand achter aus und zeigte keine Anstalten zu versinken.
Oben auf der Brückennock kurze Lagebesprechung und ich erhielt über den Lautsprecher die Anweisung, vorn am Bug mit den Armen anzuzeigen, wie zu steuern ist wenn im Nahbereich die Tonne außer Sicht der Brücke ist. Es sollte ein Ramming erfolgen um das Teil zu versenken. Die Lüneburg fuhr einen großen Bogen und gab alles her, um das Manöver erfolgreich durchzuführen. Ich dirigierte die Lüneburg auf die Tonne zu. Der Aufprall erfolgte etwas Farbe platzte vom Bug, doch die Tonne dümpelte mit einer kleinen Delle wiederum achter aus und versank nicht.
Erneute Lagebesprechung, ein Kutter wurde zu Wasser gelassen und es sollte versucht werden, mit einer Axt Schlitze in die Außenhaut der Tonne zu schlagen. Der Kamerad der den ersten Hieb tat ließ die Axt fallen, da er sich beide Handgelenke verstauchte. Das beabsichtigte Vorhaben wurde daraufhin abgebrochen. Wie sich später zeigte, bestand die Tonnenwandung aus 10 mm Stahlblech.
Erneute Lagebesprechung. Nun sollte ein Maschinengewehr die Angelegenheit endgültig regeln. Eilig wurde das MG auf der Reling in Stellung gebracht, ich koppelte mehrere 50 Schussgurte zusammen und Feuerstoß auf Feuerstoß erfolgte. Merkwürdig erschien, dass die Tonne nicht versank und trotz des ganzen Krawalls sich immer mehr Möwen für die Tonne interessierten und in großer Anzahl um die Tonne kreisten. Nach Beschuss wurde eine Weile abgewartet, dass die Tonne nun endlich zum Meeresgrund sinken würde, doch dieses geschah nicht.
So wurde beschlossen, die Tonne mit dem Ladebaum in den Schwergut-Laderaum an Bord zu verbringen um diese später an Land zu entsorgen. Es war ja schon eine aufregende Angelegenheit und es gab zu der letzten Aktion auch schon einige Zuschauer. Zum Glück haben es alle unbeschadet überstanden. Beim Beschuss war ein sirrendes Geräusch zu vernehmen deren Quelle ich nicht so recht zuordnen konnte aber schon eine Vermutung hatte. Am nächsten Tag, als ich auf die Brücke ging, bemerkte ich mehrere Fingernagel große Auswölbungen auf der Innenseite der Aluminiumwandung der zur Beschußseite befindlichen Aufbauten. Es waren ursächlich Querschläger die von der Tonne abgeleitet wurden. Auch ließ sich an Bord der Grund ermitteln warum die Tonne trotz der zahlreichen Perforierung nicht sank. Sie war gefüllt mit Polyestergranulat, was auch die Möwen vermeintlich für Futter hielten, als dieses aus den Einschusslöchern austrat.
Später in Flensburg wurde die Tonne von einem Schrotthändler abgeholt und mit einem recht üppigem Preis vergütet. Wie es dann damals so bei Flottens üblich war, wurde dieser Erlös bei nächster Gelegenheit zur Freude aller verflüssigt.
Klaus Leitis, seinerzeit OG. SE 11
Die Geschichte von Leo Neidlein, der vor über 50 Jahren als Matrose auf der "Lüneburg" seine große Liebe fand
Die "Bild am Sonntag" bringt an Heiligabend 2017 eine 2-seitige Reportage über unseren Kameraden Leo Neidlein. Leo gehörte 1967 zur Erstbesatzung. Mit noch zwei weiteren Kameraden gibt er eine Kontaktanzeige in der BAMS auf und erhält über 40 Zuschriften!!!!
Seine Auserwählte heißt Ursula.
Und das schönste an der Geschichte: die beiden sind heute noch zusammen und feiern im Mai goldene Hochzeit.
Leo Neidlein 1967 als junger Matrose auf der Lüneburg. (11er)
Dr. Wolfgang Schäfer berichtet über seine Zeit als Stabsarzt:
Hallo Herr Schröder,
mit Interesse habe ich den Bericht in unserer Landeszeitung Lüneburg über Ihr Crewtreffen gelesen. Ich selbst bin dort als Arzt tätig.
Nach meiner Ausbildung zum Arzt in Kiel war ich während meiner Zeit als Wehrpflichtiger als Stabsarzt im 1.VersGeschwader etwa 18 Monate lang tätig. Geschwaderkommandeur war Kapitän Teerling,
stationiert war ich in Holtenau direkt beim Geschwader, mein Hauptbootsmann war Klaus „Laschi“ Laschinski, der eigentlich überall bekannt war.
Ich habe damals regelmäßig die Versorger des Geschwaders besucht und bin mit ihnen auch zur See gefahren. Dabei hatte ich immer eine gute Zeit, weil ich als Hochseesegler etwas besser
respektiert wurde. Die üblichen Zwischenfälle und Schwächeanfälle beim high line Manöver konnte ich durch rechtzeitige Bestechung vermeiden. Auf der Coburg gewann ich eine Wette mit dem
Kommandanten, der behauptete, ich könne nicht Formation 1 fahren. Auf der Lüneburg in Flensburg war ich einquartiert, weil ich mit Kaptitän Teerling und Hauptbootsmann „Laschi“ die
Flottenmeisterschaft segeln musste. Als wir diese gewannen, haben wir den Kommandeur kurzerhand in Wasser geworfen, was ich auf meine Kappe nahm, da es nicht ganz formgerecht war.
Anschließend lieferte ich ihn triefend nass mit meinem VW Kombi, in dem er wegen seiner Nässe nur auf der Ladefläche sitzen durfte, an der Gangway des Versorgers ab. Dort wurde dem etwas
tropfenden Kommandeur dann auch ordnungsgemäß Seite gepfiffen.
Ganz offenbar gibt es auch bei Wehrpflichtigen gute Erinnerungen an die Lüneburg.
Mit freundlichem Gruß
Wolfgang Schäfer
Dr.med. Wolfgang Schaefer
21335 Lueneburg
GERMANY
Bernhard Robl schreibt Geschichten zum Bordhund Trossi
Bei meinem Dienstantritt April 1969 war Trossi schon an Bord. Wie mir die schon Dienstälteren sagten, sei Sie vom Kommandanten aus einem Spanienurlaub mitgebracht worden. Nach nicht allzu langer Zeit hatte auch ich mich mit Trossi angefreundet. Was mir aber bei ihr nicht behagte, war das Geknurre, Anbellen, ja auch Schnappen, wenn man ihren Fressnapf aus dem Weg räumen wollte. Ich war sowas von Zuhause bei dem Schäferhund meiner Eltern nicht gewohnt. Denn wenn einmal aus welchem Grund auch immer z.B. etwas nicht Genießbares im Fressen sein sollte, muss man den Napf auch ohne Lebensgefahr wegnehmen können. Hatte mir daher vorgenommen die Schiffsdame dahingehend zu dressieren. Nach etwa zwei Wochen geduldigem Zureden und gleichzeitigem Verstellen ihrer Schüssel hatte Trossi sich soweit an meine Marotte gewöhnt. Es gab auch anschließend ein Leckerli und viel Lob. Eines Tages nach dem Backen und Banken der Uffze, hat wohl einen der Teufel geritten. Er wollte ihr auch den Fressnapf mit dem Schuh in eine weniger gefährdete Ecke befördern. Plötzlich ein fürchterliches Brüllen, Trossi hat ihn in den Segeltuchschuh gebissen. Wir Mannschaftsdienstgrade haben uns dabei freiwillig auf die Zunge gebissen. Von diesem Tag an habe nur noch ich ihr Fressen verstellt. Aber auch nur wenn es mal nötig war. Denn Vertrauen ist gut, ein kontrolliertes und vorsichtiges Beobachten war bei diesem Bordhund gesünder. Aber solche Begebenheiten brachten keinesfalls die Zuneigung zu Ihr zum erliegen.
Eine weitere Story war das von Puster Norbert Schröder erwähnte Bremsmanöver vor der Reling. Wie Ihr sicher alle erlebt habt ist Trossi ohne Übertreibung ein höchst gelehriger Hund gewesen. Sie wurde mal wieder von uns gefoppt, es war eine leichte Nässe an Oberdeck. wir wussten uns nicht anders zu helfen, als auf der Schanz auf die Reling zu springen. denn Trossi war mal so richtig wütend. Aber sie hatte die Gleitfähigkeit bei Nässe an Oberdeck unterschätzt. Das Hinterteil ging, nachdem sie die Vorderläufe zum Abbremsen schon eingesetzt hatte auch noch nach unten.
Aber die Geschwindigkeit ihres Körpers, der auf die Reling zu glitt wollte nicht geringer werden. So versucht Sie auch noch Gegenbewegungen mit den Vorderläufen. Das Unglück konnte man wie in Zeitlupe verfolgen, wie der schwarze Blitz immer näher an die Bordkante kam. Mit viel Gejaule platschte Sie dann im Hafenwasser vom Stützpunkt auf. Da Trossi aber ein Bordhund war, konnte sie auch hervorragend schwimmen. Wir eilten alle mit einem Kescher an die Pier, um Trossi aus dem Nass zu retten. Nach dem hieven zurück an Bord, hat sie grundsätzlich 2 Meter vor der Reling ab diesem Tag halt gemacht. Somit kennt Ihr auch diese Geschichte.
Besonders nachdem Trossi die von mir mit Rangabzeichen und Mützenband versehene Uniform erhalten hatte, ist Sie nur noch damit beim Landgang auch ausgeführt worden. Betraten wir eine Kneipe und Trossi war dabei, so lautete unsere Getränkebestellung immer „Bier für uns und Wasser für den Bordhund“. Wollte ein Wirt oder Bedienung diese Bestellung nicht entgegennehmen, so verließen wir umgehend wieder diese Kneipe. Damit auch meine niedergeschriebenen Erinnerungen über einen Bordhund an den ich nur schöne Erinnerungen habe. (Bernhard Robl)
Auszug aus der Chronik der Marinekameradschaft Lüneburg
Die Marinekameradschaft Lüneburg hat sich u. a. zum Ziel gesetzt, guten und kameradschaftlichen Kontakt zu anderen MK´en, Vereinen und Instituten aufzunehmen und zu pflegen. Hervorzuheben ist hier die Verbundenheit zum Patenschiff der Stadt Lüneburg, dem "Versorger Lüneburg". .....
..... 1993 startete die Kameradschaft in Zusammenarbeit mit dem "Versorger Lüneburg" eine Spendenaktion. Das Troßschiff unternahm eine Fahrt nach Pillau und St. Petersburg. Hier kamen die Spenden zur Verteilung. Diese Aktion brachte ein Aufkommen von 5 Tonnen. Ein LKW der Bundeswehr übernahm den Transport zum Schiff. Am 14. Mai 1994 verabschiedete sich die Besatzung von der Marinekameradschaft. Das Troßschiff Lüneburg wurde außer Dienst gestellt.
... Die Besatzung des ehemaligen "Versorgers Lüneburg" führte seit Jahren zur Vorweihnachtszeit einen Punschverkauf in der Bäckerstraße durch. Der Erlös wurde dann dem Anna-Vogeley-Heim zur Verfügung gestellt. Diese schöne Geste hat, nachdem das Schiff außer Dienst gestellt wurde, die Kameradschaft mit großem Erfolg übernommen.
... Im Mai 1997 wurde der von dem Oberkommissar i. BGS, Herrn W. Press, gestiftete Mast des "Zerstörers Hessen" auf unserem Gelände aufgestellt. Am 20. September 1997, 11:00 Uhr, war die offizielle Einweihung des neuen Marineheims, Am Fährsteg 37. Zahlreiche Gäste aus Nah und Fern waren angereist, darunter auch der neue Kommandant, Fregattenkapitän Jairo Parra Juan, des ehemaligen Troßschiffs Lüneburg, das jetzt den Namen "A.R.C. CARTAGENA DE INDIAS" führt und unter der Flagge Kolumbiens fährt. Beim Abschluss dieser Chronik, die hier nur einen kleinen Ausschnitt der Aktivitäten der Marinekameradschaft Lüneburg wiedergeben kann, bedanken wir uns bei allen Freunden und Gönnern für Ihre großartige Unterstützung.
Geschwaderfahrt mit humanitärem Aspekt
Als erster wehrübender Marineoffizier zur Einberufung nach Pillau (Teil I)
Von Peer Schmidt-Walther, Kapitänleutnant d. R.
Na, Sie machen ja Geschichten mit uns!" empfängt mich Kapitän zur See Klaus Kienast halb belustigt auf der Brücke des Troßschiffes "Spessart", als ich mich an Bord gemeldet habe. Triefend naß übrigens. So stehe ich vor dem Kommandeur des 1. Versorgungsgeschwaders aus Kiel. Hinter den regengepeitschten Brückenfenstern erkenne ich nur schemenhaft die Umrisse der anderen Schiffe des Verbandes: die Versorger "Lüneburg" und "Saarburg", den Tanker "Walchensee" sowie die Hochseeschlepper "Fehmarn" und "Norderney".
Achteraus in einigen Seemeilen Distanz flackert ein weißes Hecklicht: vom russischen Forschungsschiff "Akademik Sergej Wawilow". Vor einer guten halben Stunde bin ich dort noch an Bord gewesen. Die Marine-Kameraden betrachten daher meine uniformierte Erscheinung mit einer Mischung aus Staunen und Verwunderung. Der Verband formiert sich wieder, nimmt Fahrt und Kurs auf nach Pillau. Dort bin ich heute hergekommen mit dem langsam in Regenschauern verschwindenden Forschungsschiff. Doch der Reihe nach …
Bevor der Verband auslief, war ich bereits in Königsberg, wie es mittlerweile auch viele Russen (wieder) nennen. Das zum Passagierschiff umfunktionierte Forschungsschiff "Akademik Sergej Wawilow" brachte mich von Lübeck aus hin. Das nördliche Ostpreußen stand auf meinem Besichtigungsprogramm. Dann wollte ich mich zum Dienstantritt als Presseoffizier – wie vorher abgesprochen – in Pillau auf der "Spessart" melden. Zugegeben: ein "etwas" ungewöhnlicher Weg, aber sei’s drum. Daß ich zum Dienst müßte, interessierte den russischen Grenztruppen-Major nicht die Bohne, trotz Schreiben von Kapitän zur See Kienast und Hinweis auf den deutschen Marine-Attaché, Kapitän zur See Hammer.
"Entweder Sie bleiben in Königsberg und versuchen auf eigenes Risiko nach Pillau zu kommen oder Sie fahren heute mit der ,Wawilow‘ zurück nach Deutschland", lautete die mir von dem Grenzer gestellte Alternative. Pillau ist gesperrt, ich habe also keine Chance ohne entsprechende Papiere. Ich votierte für Sicherheit und damit für das Auslaufen, zumal mein Visum auch nicht verlängert wurde.
Während das schneeweiße Forschungsschiff – übrigens das sauberste Schiff im Königsberger Hafen – vier Stunden durch den Seekanal dampfte, vorbei an vergammelten Fischereifahrzeugen, made in DDR/Volkswerft Stralsund, überlegte ich fieberhaft, wie ich dennoch meinen Reportageauftrag erfüllen könnte, über den Besuch des 1. Versorgungsgeschwaders in Pillau zu berichten. Schließlich hatte ich eine quasi verpflichtende Einladung vom Kommandeur zu einer "dienstlichen Veranstaltung" in der Tasche.
Die "Wawilow" dampfte inzwischen unverdrossen am Marinestützpunkt Baltijsk vorbei: an Steuerbord zahlreiche Einheiten der Baltischen Flotte bei schönstem Fotografierwetter. Der Lotse von Bord, vor uns die Danziger Bucht, achteraus die Samland-Küste und die Frische Nehrung.
Plötzlich eine Lautsprecherdurchsage: "Der deutsche Marineoffizier bitte umgehend auf die Brücke!" Spätestens hier beginnt die ungewöhnliche "Geschichte", die Kapitän z. S. Kienast süffisant erwähnte, als ich mich auf hoher See, querab Rixhöft und der Halbinsel Hela, an Bord meldete.
Bevor der russische Kapitän recht zu Wort kommt, weiß ich, was läuft: an Backbord das Flottendienstboot "Oste". Meine Chance! Über UKW-Kanal 16 rufe ich das Bundesmarine-Schiff an: ",Akademik Sergej Wawilow‘ an ,Oste‘ – bitte kommen!" Und das gleich ein halbes Dutzend Male. Keine Reaktion von drüben. Was tun? Bis ich auf den rettenden Einfall komme, mich mit Dienstgrad zu melden und ein dringendes Anliegen vortragen zu wollen. Siehe da, es klappt auf Anhieb. "Oste" meldet sich, bittet um einen anderen Kanal – da könnte ja jeder mithören! – Und nennt mir im nächsten Anlauf die Position des Geschwaders von 07 Uhr sowie Kurs und Geschwindigkeit. Der russische Wachoffizier Andrej überträgt die notierten Daten in die Seekarte. "Zwischen 19 und 20 Uhr müßten wir sie treffen", höre ich ihn zu meiner Freude sagen. Ab 17 Uhr versuche ich die "Spessart" anzurufen, immer wieder. Dann endlich Aufatmen, als ich den Funker des Marine-Tankers höre. Dem muß ich meine beinahe haarsträubende Geschichte kurz vortragen, bis sich der Kommandeur persönlich einschaltet: "Bitte richten Sie dem Kapitän der ,Wawilow‘ aus, daß wir uns um 19.30 Uhr auf der errechneten Position treffen wollen, um Sie zu übernehmen. Wetter und Seegang sind zwar nicht gerade günstig dafür, aber wir versuchen es, Sie per Beiboot von der ,Lüneburg‘ abzuholen und zur ,Spessart‘ rüberzubringen. Für dieses Manöver möge er bitte Lee machen. Over."
Meine Begeisterung über diesen "Coup" kennt keine Grenzen mehr. In Windeseile die Sachen gepackt und Uniform angezogen. Auf dem Achterdeck ist ein Barbecue aufgebaut. Gelegenheit, noch schnell ein Steak zu erwischen (Bier und Wodka verkneife ich mir wegen des Übersetzmanövers und des Dienstantritts möglichst ohne "Fahne") und mich von meinen Mitfahrern, lauter alte Ostpreußen auf Heimatbesuch, zu verabschieden. Der Kaleu ist umringt von Marine-Fans. Als dann unsere grauen Dampfer an der Kimm auftauchen, schwappt die Begeisterung auch auf die Passagiere über: "Daß wir so was noch erleben dürfen", schwärmt der eine, und ein anderer lobt: "Kompliment der deutschen Marine!" Eine Frau findet sogar: "Der Höhepunkt dieser Reise!" Aber man muß sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Da trifft sich ein deutscher Marineverband vor der polnischen Küste mit einem russischen Forschungsschiff, um einen Offizier übersetzen zu lassen. Kurios, allemal. Das Troßschiff "Lüneburg" kommt auf Rufweite heran, ein Beiboot wird zu Wasser gelassen. Die Spannung steigt, Wetten werden abgeschlossen, ob ich’s schaffe, ohne ins Wasser zu fallen. Ungewöhnlich rauh zeigt sich die Ostsee an diesem kühl-windigen Spätsommerabend. Wir stehen nahe der Versenkungsposition des Flüchtlingsdampfers "Wilhelm Gustloff". Ein fast historischer Augenblick demnach, als das Marine-Boot heftig auf und nieder tanzend beim Russen längsseits geht. "Das hat’s wohl auch noch nich jejeben", vernehme ich eine staunend-bewundernde Stimme aus der Ostpreußen-Runde. Über die Jakobsleiter steige ich in die brodelnde Tiefe, das Gepäck schwebt an einer Wurfleine voraus. Ein Brecher erwischt mich. Ergebnis: nasser Hintern. "Spring!" brüllt ein Obermaat, und schon lande ich im Boot. "Fahrstuhlfahren" ist hier kein Vergnügen. Von oben herab ein wahres Blitzlichtgewitter. Schnell die Rettungsweste umgelegt, ein letztes Winken, die Abschiedsrufe verwehen im Wind. Aus der Froschperspektive sehen unsere Schiffe gewaltig aus. Ihre Schrauben schlagen in beängstigender Nähe von uns. Über die grobe See tänzeln wir auf die "Spessart" zu. Wieder eine Sprung- und Kletterpartie. An Deck schüttelt mir der Erste Offizier Uwe Bloching fast beglückwünschend die Hand zu diesem Übersetzmanöver: "Willkommen bei uns an Bord!" Meint er unterwegs zur Brücke: "Die Russen haben ja ganz schön geschossen, also mit den Fotoblitzen." Ich kläre ihn auf, daß das die Touristen gewesen seien. Was dann folgt, ist bekannt …
Die Nacht in der gemütlichen "Spessart"-Bar wird einige Biere lang. Meine unglaubliche Geschichte macht die Runde. Gefragt sind auch meine noch frischen Ostpreußen-Eindrücke und Tips. Müde sinke ich in meine Hospital-Koje. Alle anderen sind bereits belegt von Reservisten. Neben mir logiert Fregattenkapitän d. R. Horst Spandau, Hauptschulrektor aus Hannover. Diese Wehrübenden ersetzen auch eine Reihe von Zivilbesatzungsangehörigen, die für diese Mob-Übung nicht mehr wehrdiensttauglich sind.
Frühstück wie im Hotel. Steward Helmut Bünting reißt sich förmlich ein Bein für uns aus – besonders bei den Empfängen, die er allein gemeistert hat.
Gegen 8 Uhr kommt Pillau als schmaler Landstrich mit aufragendem Lotsenturm voraus in Sicht. Um 9 Uhr steigen Lotse und Verbindungsoffizier über. Letzterer, ein alter Bekannter von der Kieler Woche ’93, besticht durch perfekte Deutschkenntnisse.
Kapitän Meschat, Korvettenkapitän d. R., und 3. Offizier Heino Weißenfels führen das Kommando. In langsamer Fahrt fädelt sich unser Verband zwischen den Molen an Neutief, dem ehemaligen Seefliegerhorst der Kriegsmarine, und der Stadt Pillau vorbei in das Frische Haff und das erste Stückchen Seekanal ein. Pünktlich um 10 Uhr beginnen Einlauf- und Festmachmanöver, untermalt von Militärmusik. Unsere Nachbarn sind Kampfschiffe der Baltischen Flotte, die uns noch vor gar nicht allzu langer Zeit keineswegs so friedlich wie heute gesonnen war. Freundliches Winken, Seitepfeifen. Unser Liegeplatz: der ehemalige Tiefwasserhafen der Kriegsmarine für Großkampfschiffe.
Von da an steht alles unter Streß. Das offizielle Programm dieses "Routinebesuchs" sorgt schon dafür. Während die einen an Empfängen teilnehmen, Fußball mit russischen Matrosen spielen oder eine Kinderparty organisieren, machen andere Sightseeing: per Bus oder Taxi nach Königsberg, Palmnicken, Cranz, Rauschen, zur Kurischen Nehrung, Wehlau, Insterburg, Tilsit. Alle wollen in dieser Zeit etwas von diesem bisher verschlossenen Fleckchen Erde sehen. Obenan steht für Kapitän z. S. Kienast "die Begegnung von Mensch zu Mensch." Dazu gibt es hier reichlich Gelegenheit.
Da ich bereits eine Woche Ostpreußen hinter mir habe, bin ich jetzt neugieriger auf den geschichts- und politträchtigen Stützpunkt. Der ist reichlich "zugeparkt" mit Schiffen aller Art: Korvetten ("Parchim"), Fregatten ("Krivak", "Neustrashimy"), Zerstörer ("Sovremenny"). Von wegen Fotografierverbot! Keine Spur davon. Wir können (fast) alles machen, sogar an Bord gehen. Ein Offizier vom Dienst bittet uns, etwas später wiederzukommen.
Was ist in der Zwischenzeit passiert? Die russischen Marine-Kameraden haben in Windeseile ein buntes Mini-Buffet aufgebaut – aus dem Nichts sozusagen, denn sie haben ja kaum etwas. Fast beschämend für uns.
Auf die neuesten Landungsboote mit Luftkissen- und Propellerantrieb ("Pomornik"-Klasse) läßt uns ein Kalaschnikow-bewehrter Posten nicht. Schlagbaum runter. Mitten im Stützpunkt ein Sonder-Sperrgebiet. Die in ihren Machorka-Dunst-Wolken "schwebenden" Offiziere sind auch nicht zu erweichen: "Njet!" Morgen sollen wir wiederkommen. Nur: uns fehlt die Zeit dazu, schade. Die in einem anderen Hafenbecken vor sich hin rostenden Wracks sind auch nicht ohne. Mein Begleiter Kaleu Zander entdeckt "alte Bekannte" wieder, die er für "vermißt" gehalten hat. Für ihn klärt sich hier manches auf. Wir schlendern am Zaun entlang, dahinter auf einer Betonpiste vier "Pomorniks". Ein russischer Matrose mit roter Wach-Armbinde, die Mütze lässig ins Genick geschoben, winkt uns heran. "Zigarett", lautet sein schlichter Wunsch, dazu die entsprechende Handbewegung. Aber auch wir haben einen Wunsch, nämlich uns die Landungsboote aus der Nähe anzusehen und zu fotografieren. "Njet Problem" (zu deutsch: kein Problem), lautet die verblüffende Antwort des Postens. Dann schlüpfen zwei deutsche Marineoffiziere durch ein Loch im Zaun in die Sperrzone! Herumstehende Seeleute lassen sich schnell zu einem Gruppenbild in der heruntergeklappten Bugrampe arrangieren. Ich mittenmang, und mein Kaleu-Kamerad drückt ab. Ich schaffe es sogar, ins Innere eines der Boote vorzudringen – und alles auf die Platte zu bannen, was uns interessiert. Zum Abschied bekommen wir sogar noch eine Matrosenmütze, ein Schiffchen, Mützenbänder und Abzeichen im Tausch gegen eine einzige Schachtel Zigaretten. Winken durch das Zaunloch.
Quelle: Das Ostpreußenblatt /
Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Oktober 2000)